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General Statement Dr. Birte Kleine-Benne, 2008-02-15
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Bevor ich Ihnen, liebe Meisterschuelerinnen und Meisterschueler, in etwa 10,5 Minuten herzlich zum Abschluss Ihres Meisterschuelerjahres gratulieren werde, moechte ich die Gelegenheit nutzen und auf zweierlei zu sprechen kommen:
Einerseits auf die aktuelle, die gegenwaertige Situation, in der Sie Ihre Kunst produzieren - eine Situation, die Ihre Grenzen eng steckt.
Andererseits moechte ich auf die Mittel zu sprechen kommen, derer Sie sich bedienen, um die Ihnen gesetzten Grenzen zu verschieben: naemlich die Mittel der Kunst.
Dan Perjovschi, Kunstverein Hamburg 2007.
Die aktuelle Situation ist fuer Kunstproduzenten eher eng gesteckt:
- Der Druck der Wirtschaft, und zwar in Form der sog. Oekonomisierung, waechst,
- die Konkurrenz der sog. Kultur- oder auch
Kreativwirtschaft verschaerft sich,
- ebenso die Gier der Medien nach Spektakulaerem: Kunst sei, so heisst es zynisch, worueber Medien berichten,
- die Politik beeinflusst durch infrastrukturelle Rahmenbedingungen wie z.B. durch neuere Gesetzgebungen wie die
Vorratsspeicherung von Daten seit dem 9.11.2007.
- Optional koennte kuenftig auch das Recht noch bedeutender werden, wenn naemlich die
Kultur als Staatsziel in einem Artikel 20 b im Grundgesetz verankern werden sollte.
Bestimmen dann Juristen und Gesetzestexte die Entwicklung von Kunst und Kultur?
Von einem gleichgewichtigen Wechselspiel zwischen der Kunst und ihrer Umwelt kann aktuell wohl kaum die Rede sein!
Eher sind Anzeichen einer Fremdsteuerung des Kunstsystems zu beobachten, wenn wie im folgenden Beispiel der US-amerikanische Kuenstler Steve Kurtz, Kunstprofessor an der State University of New York in Buffalo, durch das FBI
beschuldigt wird, seine kuenstlerische Arbeit wuerde bio-terroristische Ziele verfolgen und nach dem
'USA PATRIOT Act' von 2001 eine Straftat darstellen.
Steve Kurtz, Mitglied des
Critical Art Ensemble, arbeitet an den Schnittstellen Bioscience, Informationstechnologie und Medientheorie. In seiner Wohnung wurden im Mai 2004 Laborinstrumente zur DNA-Analyse von Nahrungsmitteln entdeckt, die das FBI als illegale bio-terroristische Waffen neben Kurtz' Computer, Manuskripten und Aufzeichnungen beschlagnahmte.
Weit entfernt von uns?
Naeher geht's nicht, wenn der Soziologe
Andrej Holm, taetig an der
Humboldt Universitaet Berlin, am 31. Juli 2007 inhaftiert und fuer 3 Wochen in Moabit festgehalten wird. Seine wissenschaftliche Arbeit zur
Gentrifizierung und
Prekarisierung hatte ihn in inhaltliche und terminologische Naehe zu Brandanschlaegen der sog.
Militanten Gruppe gebracht und
Ermittlungsmassnahmen gegen ihn, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (nach
Paragraph 129a des Strafgesetzbuches), in Gang gesetzt.
Nachdem im Oktober letzten Jahres der Haftbefehl gegen Holm aufgehoben wurde, wird nun noch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gegen ihn ermittelt.
Rettet uns in solchen Faellen der Bezug auf das Grundgesetz,
Artikel 5, Absatz 3?
Zitat: "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei."
Oder schuetzt uns der Bezug auf die
Erklaerung der Menschenrechte, die seit 1948 in Artikel 27, Absatz 2 festlegt:
Zitat: "Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen."
Wolfgang Zinggl, ehemaliger oesterreichischer Bundeskurator, warnt vor dieser naiven Hoffnung:
Zitat: "Eine Richterin koennte einen Antrag auf Straffreiheit ablehnen, indem sie dem Objekt des Tatbestands einfach das Kunstpraedikat abspricht. 'Da es sich in vorliegendem Fall gar nicht um Kunst handelt', koennte sie argumentieren, 'kann auch der Artikel 17a nicht zur Anwendung kommen.'"
Nebenbei: Der Artikel 17a regelt im
oesterreichischen Staatsgrundgesetz die Kunstfreiheit.
Was also gegen das Recht verstoesst, ist keine Kunst?
Aber auch die kunstinternen Grenzen sind eng, sehr eng gesteckt.
Sehen wir ein eindrucksvolles Beispiel. Einen surrealistischen Kurzfilm des tschechischen Autors Ivan Kraus aus dem Jahre 2006:
The CENSOR, 3min 4 sec, zum Thema
Index on Censorship
Der Tanz als Kunstform - das nur am Rande - ist hier austauschbar mit allen anderen Kuensten:
der bildenden Kunst, der darstellenden Kunst, der Musik, der Literatur...
Es geht um die Festlegung und um die Durchsetzung von Regeln:
Anthony Hopkins einerseits in der Rolle der Zensur, z.B. durch den schon genannten
'USA PATRIOT Act' von 2001 oder durch das
Urheberrecht, das nicht selten in seiner reformbeduerftigen Fassung von 1965 die Rechte der Kunstproduzenten begrenzt und die digitalen und technischen Moeglichkeiten vernachlaessigt.
Gerade erst vorgestern
verurteilte das Landgericht Muenchen den Autor Maxim Biller auf Zahlung von 50.000,- eur Schmerzensgeld an seine ehemalige Freundin, die sich in dem Roman
"Esra" in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sah. Der Roman wurde schon im Oktober durch das Bundesverfassungsgericht verboten.
Hopkins andererseits aber auch in der Rolle der Selbstzensur der Kunst - um z.B. in Foerderantraegen zu gefallen oder Ausstellungsmoeglichkeiten nicht von vornherein zu verhindern.
Ich erinnere hier auch an die selbstgewaehlte Beschraenkung der Deutschen Oper Berlin und ihrer Intendantin Kirsten Harms, die Inszenierung der Mozartoper Idomeneo im September 2006 zunaechst
abzusetzen.
Im gleichen Atemzug aber, und damit komme ich zum zweiten Gedanken, geht es bei der Kunst immer auch und einzig um die Verschiebung von Regeln und Normen:
Thomas Feuerstein,
Kunst hoch Kunst.
Denn was Anderes ist Kunst als die permanente Beobachtung, Ueberpruefung, Offenlegung, Korrektur und/oder Revision von festgelegten Kriterien, von bestehenden Kategorien und bestimmenden Ordnungssystemen, von Wahrnehmungsmustern, Entscheidungsgewohnheiten und Handlungseindeutigkeiten.
Der Schweizer Kommunikationstheoretiker David J. Krieger spricht vom
"Erschliessungsdiskurs Kunst", dessen Aufgabe darin bestehen wuerde, Regeln zu durchbrechen und Kriterien zu transformieren.
Anders gesagt: Zitat: "Art has to be illegal."?
Hier hilft uns die Computerwissenschaft und der Autor und Programmierer der Hacker- und
Open Source-Szene Eric S. Raymond, der diesen Gedanken mit der Unterscheidung
Hack und Crack praezisiert:
Zitat: "Hackers build things, crackers break them."
Insofern verfuegen Sie ueber ein wunderbares und machtvolles Instrumentarium, dass Sie mit Ihren kuenstlerischen Erfindungen in einen Vorsprung gegenueber juristischen oder politischen oder wirtschaftlichen Regelungen versetzt, besser gesagt versetzen kann.
Ein Instrumentarium, das Ihnen paradoxerweise groesstmoeglichen Spielraum gibt:
- Sagen die
Einen, Kunst wuerde Visionen eroeffnen und Prozesse aktivieren, sagen die
Anderen
, es sei ein Irrtum, das Kunst zwingend Neues zu bieten haette.
- Sagen die Einen, Kunst wuerde Position beziehen und Stoerstellen produzieren, sagen die Anderen, es sei ein Irrtum, dass Kunst zwingend kritisch sein muesse.
- Sagen die Einen, Kunst wuerde Erkenntnisse garantieren, sagen die Anderen, es sei ein Irrtum, dass Kunst wahrhaftig sein muss.
Verwirrend? Uneindeutig? Unklar?
Peter Lau, 8 Regeln fuer eine Revolte, 2001.
Fuer diesen Fall moechte ich abschliessend den brandeins-Autoren Peter Lau zitieren, der 2001
acht Regeln fuer eine Revolte aufstellte.
Seine letzte Regel, die achte, lautet:
Fang irgendwo an!
Zitat: "Es gaebe noch viel mehr zu sagen. Du wirst selbst tausend Ideen haben, Bedenken, Probleme. Und eigene Regeln finden. Nichts wird perfekt sein, alles unsicher und unklar. Aber keine Sorge: Am Anfang scheint alles schwierig, doch mit der Zeit wird es einfacher. Alte Gewohnheiten werden durch neue ersetzt. Mit der Zeit wirst du es voellig normal finden, etwas zu tun, so wie du es heute normal findest, nichts zu tun. Es ist ganz einfach: Fang irgendwo an."
Hier schliesse ich mich Peter Lau an und gratuliere Ihnen von Herzen.
Fangen Sie heute mit einem ganz besonderen Abend an! Vielen Dank.
Birte Kleine-Benne, im Februar 2008, Berlin,
Meisterschueler Ausstellung der
UdK Berlin.
General Statement, 2008-02-15
[for german version please scroll up.]
Dear Meisterschuelerinnen und Meisterschueler, before I will congratulate for finishing your master-degrees in about 10.5 minutes, I would like to use the opportunity and note two different thoughts:
On the one hand the current situation, in which you produce your art - a situation that puts your boundaries very tight.
On the other hand I would like to speak about the instruments in order to shift the boundaries given to you: the instruments of the art.
Dan Perjovschi, Kunstverein Hamburg 2007.
The current situation is rather restricted for art producers:
- The external pressure of the economy, in form of the so-called Oekonomisierung, is growing,
- the competition of the so-called culture- or creative economy is intensifying,
- as well the the media-greed for the spectacular one: Art is about what media report,
- the politics influence by infrastructural basic conditions e.g. by the newer legislation like the
Vorratsspeicherung of data since 2007/11/9.
- Optionally law could also become more important, if
culture as national objective might be included in The Constitutional Law of Germany.
Will lawyers and legal texts then determine the development of art and culture?
An equivalent interrelation between the art and its environment you won't address today.
Rather signs of an external control of the art system are to be observed, if like in the following example the US-American artist Steve Kurtz, Professor at the State University of New York in Buffalo, is incriminated, his artistic work will practice bio-terror and will represent according to the USA PATRIOT of 2001 a criminal offence.
Steve Kurtz, member of the
Critical Art Ensemble, operates on the interfaces Bioscience, Information Technology and Media Theory. In May 2004 in his flat were discovered laboratory instruments for analyzing the DNA of food, that the FBI seized as illegal weapons for bio-terror beside Kurtz' computers, manuscripts and recordings.
Far away from us?
Very close to us, if the sociologist
Andrej Holm, teaching at the
Humboldt University Berlin, was arrested on 31 July 2007 and held for 3 weeks in Moabit. His scientific work to the topics
gentrification and
precarity had brought Holm into contentwise and terminological closeness to arson attacks of the so-called
Militanten Gruppe and activated
inquiries against Holm because of a membership in a terroristic group (
paragraph 129a of criminal code).
In October last year the arrest warrant was canceled, but still it will be investigated against him because of a membership in a criminal group.
Does in such cases the reference to the Constitutional Law (
article 5.3) save us?
Quote: "Art and science, research and teaching are free."
Or does the reference to the
Declaration of Human Rights (article 27.2) protect us?
Quote: "Everyone has the right to the protection of the moral and material interests resulting from any scientific, literary or artistic production of which he is the author."
Wolfgang Zinggl, previous Austrian Chiefcurator, warns against this naive hope:
Quote: "A judge could dismiss an application by simply denying the art-title for the corpus delicti. #039;Because in the present case it doesn#039;t be art at all#039;, she could argue, #039;the article 17a could not be adopted.#039;"
Btw: The article 17a fixes the Art liberty in the
Austrian Basic Law.
What thus is adressed against the law, does not be art?
But even the art-internal boundaries are tight, very tight.
Let us watch an impressive example: A surrealistic shortfilm by the Czech author Ivan Kraus from 2006:
The CENSOR, 3min 4 sec, to the topic
Index on Censorship
The dance as an art form is exchangeable with all other arts:
the performing art, the representing art, the music, the literature…
It's a matter of establishing and accomplishing of rules:
Anthony Hopkins on the one hand in the role of the censorship, e.g. by the use of
'USA PATRIOT Act' (2001) or by the use of the
Copyright regulations, which in its version of 1965 often limits the rights of the art producers and neglects the digital and technical possibilities.
Just the day before yesterday the regional court Munich sentenced the author Maxim Biller on payment of 50.000, - eur of compensation for pain and suffering to his former friend, who saw hurt her personality rights in the novel
"Esra". The novel itself has been declared forbidden in October 2007 by the Federal Constitutional Court.
Hopkins on the other hand in the role of the self censorship of the art - e.g. to please with funding applications.
I also want to remind of the self-chosen limitation of the German opera Berlin and her manager Kirsten Harms cancelling the production of the Mozart opera Idomeneo in September 2006.
In the same breath, and thus I come to the second thought, that art always and solely deal wih shifting rules and standards:
Thomas Feuerstein,
Kunst hoch Kunst.
What else is art if not the permanent observation, examination, correction and/or revision of determined criteria, of existing categories and order systems, of perception rules, decision habits and activity desidedness.
The Swiss communication-theorist David J. Krieger defines art as
"Erschliessungsdiskurs". Its function is to break rules and to transform criteria.
In other words: Quote: "Art has to be illegal."?
The computer science will help us and especially the author and programmer of the Hacker- and
Open Source-scene Eric S. Raymond specifies this thought with the distinction between
hack and crack:
Quote: "Hackers build things, crackers break them."
So you have a marvelous and powerful equipment, that gives you and your artistic inventions an advance over legal or political or economic regulations.
An equipment, that gives paradoxically a maximum playground to your hand:
-
The one say, art will open visions and will activate processes,
the others say,
it is a mistake, that art imperatively has to offer the newest.
- The one say, art will take stand and produce impurities, the others say, it is a mistake, that art imperatively has to be critical.
- The one say, art will guarantee insights, the others say, it is a mistake, that art imperativey has to be truely.
Confusing? Inconclusive? Nebulous?
Peter Lau, 8 rules for a revolt, 2001.
For this case I would like to cite the brandeins-author Peter Lau, who laid down
8 rules for a revolt in 2001.
His last rule, the eihghts, is:
Just start somewhere!
Quote: "
There might be much more to be said. You self will have thousands of ideas, of doubts, of problems. And find own rules. Nothing wlll be perfect, everything unstable and unclear. But nothing to worry: in the beginning everything seems to be difficult, but by the time it's getting smoother. Old habits will be changed by new ones. By the time you will take it absolutely normal, to do something, like you take it normal today, to do nothing. It's that simple: Just start smewhere!
I do join Peter Lau and now congratulations with all my heart.
Please start today with a special evening. Thank you very much.
Birte Kleine-Benne, in February 2008, Berlin,
Exhibition of Meisterschueler der
UdK Berlin.