[ home: http://bkb.eyes2k.net ]



Forschungsseminar
Prof. Dr. Birte Kleine-Benne:
The Show Must Go On.
Kunst in nächsten Produktions-, Präsentations- und Rezeptionszusammenhängen als Gegenentwürfe zu "Lost in Covid"



freitags, 15:15-18:30 Uhr
Beginn: 22.4.2022
nicht am 10.6. und 1.7.2022
Bauhaus-Universität Weimar, Fak. Kunst und Gestaltung
Marienstraße 1b, Projektraum 201



Mit COVID-19 trifft eine Krise der Gesundheit auf Krisen von Vertrauen, Klima, Finanzen ... Für das Kunstsystem zeigten sie sich zunächst als eine Krise der Begegnung und mit ihr der Präsenz. Was zunächst als Kennzeichen pandemischer Verhältnisse diagnostiziert wurde oder sogar dazu verführte, post-pandemisch dystopische Lagebeschreibungen zu prognostizieren, stellte sich bald als das Dispositiv heraus, in dem sich das Kunstsystem nicht erst seit, mit oder durch SARS-CoV-2 aufhält. Denn, so lautet die grundlegende These des Forschungsseminars: "Wir sind schon längst pandemisch gewesen." >>

Konzeptionelle und institutionelle Probleme - und dazu zählen u. a. repräsentative, administratorische, ethische, kulturpolitische und ökonomische Schieflagen innerhalb des Kunstsystems - sind nicht neu, sie sind nun sichtbar(er), deutlich(er) und öffentlich(er) (geworden). Nun können sie nicht mehr nicht gesehen und auch nicht mehr nicht gewusst werden.

Wir wollen unsere Forschungen systematisch an kunsthistorisch plausibilisierten Ordnungsfiguren wie "Genie", "Intention", "Werk", "Original", "Aura", "Präsenz", "das Publikum", "Autonomie" etc. und an dem methodischen Einsatz einer linearen Chronologie, einer starken Kausalität und einer Komplexitätsreduzierung ansetzen, die nicht erst mit COVID-19 zur Diskussion stehen. Vielmehr verursachen sie, so lautet die Hypothese, eher die Probleme, mit denen wir aktuell zu tun haben und von denen wir annehmen, dass sie sich post-pandemisch verabschieden würden. Die pandemische Lage soll uns dazu dienen, in Form von Re- und Pre-Enactments prä-pandemische und pandemische Verhältnisse neu zu erzählen, neue Geschichts- und Theoriehorizonte aufzuspannen und post-pandemische Handlungsmöglichkeiten zu konzipieren.





Dan Perjovschi, The Show, 2020 (Quelle >>)





Leistungsnachweis:
1. regelmäßige und aktive Teilnahme (mind. 80%)
2. Visualisierung und Präsentation der Forschungsergebnisse im Team
3. Verschriftlichung der Forschungsergebnisse als Hausarbeit zum Semesterende (BA: 5.000 Wörter, Dipl/MA.: 7.000 Wörter) oder in Form einer wissenschaftlichen Dokumentation/Review der Einzelsitzungen des Forschungsseminars mittels Text und Zeichnungen und ggf. aufbereitet in digitalen Medien (BA: 2.000 Wörter, Dipl/MA.: 3.000 Wörter) oder in Form anderer Formate nach Absprache



Empfehlungen zum wissenschaftlichen Schreiben >>
hier: Hinweise zum wissenschaftlichen Arbeiten und Abfassen von Seminararbeiten, z.B. des Instituts für Kunstgeschichte der LMU München >>
Hier finden Sie auch: offene Software, Public Domain Bilder, Online-Recherche-Tools etc.







15 Things Museums Do That Piss Me Off, Isabella Segalovich, in: Hyperallergic, March 15, 2022 >>



UNESCO Report Warns of Unprecedented Crisis in the Cultural Sector, Tesssa Solomon, in: ArtNews February 8, 2022 >>
UNESCO: Re|shaping policies for creativity: addressing culture as a global public good, 2022 >>





Themenfelder:

1.: Kunst

2.: Werk

3.: Genie

4.: Intention & Interpretation

5.: Aura

6.: Autonomie

7.: Das Publikum

8.: Original/ität

9.: Institution/en

10.: Re-/Präsentation

11.: Komplexität

12.: Methoden



Für Weiteres zu empfehlen: Glossar >>






Joshua Decter, 5.3.2022, Quelle >>




Timm Ulrichs, Ich kann keine Kunst mehr sehen!, 1975 >>




Bravo’s Next Great Artist 2010




Dan Perjovschi, Cabaret Voltaire, Zürich, 2007.




Rogi, 18.2.2022, Quelle >>




Joshua Decter, 7.4.2022, Quelle >>




Dan Perjovschi, 2007, Kunstverein Hamburg.




Ad Reinhardt, 1946, Cartoon, P.M. New York >>




Hannah Wilke. So Help Me Hannah: What Does This Represent / What Do You Represent (Reinhart), 1978-1984 (Bildquelle >> )




Lindsay Braman. Caution: Art May Cause You To Feel, 2022 >>




Wells, Butler et al. 2013: Interpretive Planning for Museums, p. 55, übers. Lars Wohlers, 17.10.2022, Twitter >>



29.04.2022: Ökologisches Denken

Ursula K. Heise 2013: From The Blue Planet to Google Earth >>

Vortrag von Maja Avnat und Amelie Wedel

Maja Avnat ist Designerin und studiert z.Z. an der Humboldt-Universität zu Berlin im Master Kulturwissenschaft. Ihre Schwerpunkte sind Designtheorie und -philosophie, politische Theorie und die Beziehungen von Menschen und Nichtmenschen.
Amelie Wedel ist Kuratorin und promoviert zu den Schnittstellen zwischen kritischen Ökologien und politisch engagierter Künstlerfilme an der Medienfakultät der Bauhaus-Universität.

Online über BigBlueButton >>

Bei Interesse zur Vorbereitung: Ursula K. Heise 2013: From The Blue Planet to Google Earth >>

Zur Präsentation >>



Weitere Literatur:

Donna Haraway 2016: Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham: Duke University Press.
Donna Haraway 2016: Tentacular Thinking: Anthropocene, Capitalocene, Chthulucene, in: e-flux, Issue #75 >>.
Donna Haraway 2018: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, Frankfurt/Main.

Karen Barad 2007: Meeting the Universe Halfway: Quantum Physics and the Entanglement of Matter and Meaning. Durham: Duke University Press.
Karen Barad 2015: Transmaterialities: Trans*/matter/realities and Queer Political Imaginings. GLQ: A Journal of Lesbian and Gay Studies 21, S. 387-422.

Bruno Latour 2007: It’s development, stupid! or: How to Modernize Modernization >>.
Bruno Latour 2008: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie, Frankfurt/Main 2008, S. 20.
Bruno Latour 2018: Das terrestrische Manifest, Berlin.
Interview with Bruno Latour 2022 @ arte >>

Sara Ahmed 2010: Orientations Matter. In New Materialisms: Ontology, Agency, and Politics. Edited by Diana Coole and Samantha Frost. Durham: Duke University Press, S. 234-257.
Sara Ahmed 2012: Complaint!, London/Durham.

Wie Pflanzen um Wasser konkurrieren, Volker Mrasek, DLF, 18.2.2019 >>



"Überall da, wo wir modernisiert haben, müssen wir nun ökologisieren."
Bruno Latour: Modernisierung oder Ökologisierung? Das ist hier die Frage, in: ARCH+, 196/197, 2010, S. 12-20, hier S. 19 >>

"Steht alles wechselseitig in Beziehung? Nicht unbedingt. Wir wissen nicht, was miteinander verbunden und verwoben ist. Wir tasten uns voran, wir experimentieren, probieren Dinge aus. Niemand weiss, wozu eine Umwelt in der Lage ist."
Ebd., S. 18.



06.05.2022

Ideologien/Dogmen/Postulate

Lingner, Michael 1999: Krise, Kritik und Transformation des Autonomiekonzepts moderner Kunst >>
"Je weiter der Autonomieverlust faktisch fortschreitet, desto rigider und raffinierter wird im Kunstsystem so operiert, als ob, losgelöst von den realen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die alte Autonomie der Kunst ungebrochen fortbestünde. So gehört es zu den unabdingbaren institutionellen Voraussetzungen, denen sich Kunst heute anpassen muss, dass sich Werke wie Schöpferinnen so präsentieren (lassen), dass sie weiter als autonom erscheinen. Wenn die entsprechenden Verleugnungs-, Verstellungs- oder Verdrängungsleistungen nicht erbracht werden, ist mit der Gunst des Kunstbetriebes kaum noch zu rechnen."

3 Illusionen/Dogmen/Ideologien/idealistische Postulate, den Anschein von Werk- und Künstlerautonomie aufrechtzuerhalten:
1. Einheit des Werkes
2. Zweckfreiheit
3. Reduzierung auf die Symbolfunktion
"Gefragt sind ausschliesslich Kunststücke, die sich mit der unverbindlichen Symbolisierung von Autonomie begnügen und zu nichts anderem als einer gleichermassen folgenlos bleibenden bewundernden Betrachtung dieses Phänomens geschaffen sind."

Ergänzungen 2019:
4. Interpretation
5. Freiheit
6. Vernatürlichung des Kunst-Begriffs



Ruth Sonderegger: Zur Kolonialität der europäischen Ästhetik, Vortrag vom 08.12.2016, FernUniversität in Hagen >>



Symposium: No Linear Fucking Time @BAK, basis voor actuele kunst, May 20-21, 2022 >>

Ausstellung: No Linear Fucking Time, 3. Dezember 2021 - 22. Mai 2022 >>


No Linear Fucking Time: Online Opening Program, 3.12.2021



13. und 20.05.2022

Thema: White Cube

3+1-teilige Essayfolge in Artforum International:
Inside the White Cube: Notes on the Gallery Space (März 1976)
The Eye and the Spectator (April 1976) und
Context as Content (November 1976)
Gallery as a Gesture (December 1981)
ders. 1986: Inside the White Cube. The Ideology of the Gallery Space, San Francisco.
ders. 1996: In der weissen Zelle. Inside the White Cube, hg. von Wolfgang Kemp, Berlin.

ders. 2009: Boxes, Cubes, Installations, Whiteness and Money, in: A Manual for the 21st Century Art Institution, ed. Shamita Sharmacharja. London: Whitechapel Gallery / Koenig Books, 2009, pp. 26-30.

ders. 2018: Collected Essays. University of California Press.





Nicola Price, 24.3.2018, zu Andrea Frasers Museums Highligts, 1989
--> 12:38 bis 16:52

Andrea Fraser 2018: 2016 in Museums, Money, and Politics







Tony Bennett 1995: The Birth of the Museum. History, theory, politics, London, New York.

Bishop, Claire 2013: Radical Museology. or What’s ’Contemporary’ in Museums of Contemporaray Art?, London.

Nora Sternfeld 2018: Das radikaldemokratische Museum, Berlin/Boston.



NOVA art space @ Kunsthaus Erfurt: Space, Activate, 28.4. bis 10.6.2022 >>

























27.05.2022

Michel Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 1970
"Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird - und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche MaterialitÄt zu umgehen." (1991, S. 10f.)

"Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven 'Polizei' gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muss." (1991, S. 25.)

Jonathan Culler 1988: Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie, Reinbek bei Hamburg.
Peter Engelmann (Hrg.) 1990: Postmoderne und Dekonstruktion, Stuttgart.
Judith Butler 1993, Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der 'Postmoderne', in: Seyla Benhabib / Judith Butler / Drucilla Cornell / Nancy Fraser (Hg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt/Main 1993, S. 31-58.
"Denn die Frage ist: Welches rationalistische Projekt legt vorab fest, was als Vereinbarung zählt?" (1993, 36)
"[d]ie Aufgabe [...] eher darin zu fragen, was durch den theoretischen Schritt, Grundlagen festzulegen, autorisiert und was ausgeschlossen oder verworfen wird." (1993, 37)
Denn "[d]ekonstruieren meint nicht verneinen oder abtun, sondern in Frage stellen [...]." (1993, 48)

--> Oppositionen aufspüren, implizite hierarchische Verhältnisse benennen, weitere Termini danebensetzen, die erzählten, gefestigten und gesättigten Ordnungen durchlaufen, aufgelockern, mobilisieren und neuordnen.
Mit der Dekonstruktion wird nach Möglichkeiten Ausschau gehalten, das Ausgegrenzte zu benennen und einzuschließen und die uns konstituierende Matrix der Macht umzuarbeiten.



Michel Foucault, Was ist Kritik?, 1978
"Wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird - dass man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert wird?" (1992, 11f.)
"Die Kritik also wird sagen: um unsere Freiheit geht es weniger in dem, was wir mit mehr oder weniger Mut unternehmen als vielmehr in der Idee, die wir uns von unserer Erkenntnis und ihren Grenzen machen." (1992, 17)



03.06.2022

Foucault, Michel 1969: Was ist ein Autor?, in: Foucault: Botschaften der Macht. Reader Diskurs und Medien, hg. v. Jan Engelmann, Stuttgart 1999, S. 30-48.
"Man kann sich eine Kultur vorstellen, in der Diksurse verbreitet oder rezipiert würden, ohne dass die Funktion Autor jemals erschiene." (S. 277)
1. Eigentumsbeziehung
2. Funktion Autor nicht für alle Diskurse einer Gesellschaft gültig.
3. Ergebnis einer Operation (konstantes Werkniveau, logische Kohärenz, stilistische Kohärenz, Bezug zur Historie)
4. Verweise
"Ich glaube, dass, während sich unsere Gesellschaft ändert, in eben dem Moment, in dem sie dabei ist, sich zu ändern, die Autorfunktion verschwinden wird, und zwar in solch einer Weise, dass Fiktion und ihre polysemen Texte wiederum nach einem anderen Modus funktionieren werden, aber immer noch innerhalb eines Systems von Einschränkungen - eines, das nicht länger der Autor ist, sondern eines, das noch festgelegt werden muss oder vielleicht erfahren." (S. 229)

Woodmansee, Martha 1992: Der Autor-Effekt. Zur Wiederherstellung von Kollektivität, in: Texte zur Theorie der Autorschaft, hg. v. Fotis Jannidis et al., Stuttgart 2000, S. 298-314.

Nochlin, Linda: Why have there been no great women artists? (1971), in: Jones, Amelia (Hrsg.): The Feminism and Visual Culture Reader, London 2003, S. 229-233.

Work of Art. The Next Great Artists, Bravo TV, 2010 (auf YouTube) >>



"Great artists don't just happen, any more than writers, or singers, or other creators," she continued. "They have to be trained, and in the hard school of experience."
How to Be an Artist, According to Georgia O'Keeffe, Alexxa Gotthardt, in: artsy, 03/11 2022 >>

"I never got into being an artist," Hito Steryerl said. For me, it's always more research, storytelling, maybe technological experimental. It's more like a laboratory setting.", in: Hito Steyerl's Digital Visions, Merve Emre, in: The New Yorker, February 22, 2022 >>

Can you separate the artist from the art?, Ruth Millington, 16 Feb 2022, in: ART UK >>

Wer braucht heute noch Genies?, Simon Sahner, Nicole Seifert und Johannes Nichelmann, 27.01.2022, in: Deutschlandfunk Kultur >>



Artist's Reserved Rights Transfer and Sale Agreement
Seth Siegelaub und Bob Projanski, 1971 >>
auf deutsch: >>
dazu Aktualisierte Variante von Kadist, 2019 >>



17.06.2022

documenta fifteen >>

Auratische Werkobjekte und symbolische Repräsentationen transformieren zu offenen und dynamischen, mit Anschlussfähigkeit ausgestatteten und auf Operativität ausgerichtete Handlungsfeldern, zur n-dimensionierten "Arena des Handelns" (Weibel).
Werk --> Projekt, Prozess, Work in Progress, Handlungen, Eingriff, Echtzeitereignis
Von ROM-art (read only material) zu RAM-art (radical active material)
- temporäre, prozessuale und dynamische Ergebnisse
- von den Beteiligten nur teilweise zu beeinflussen und nur teilweise intendiert
- verschiedene Medien, Materialien, Gattungen, Genres ...

- Komplexitätsreduzierte, einsame, isolierte und segmentierte Einzelwerke (Kemp) transformieren zu höherkomplexen (Modell-)Systemen, die sich raum-zeitlich und dynamisch vernetzend strukturieren.
- Zu beobachten ist eine Entwicklung zu realen Systemen und zu komplexen, vernetzten Systemen von großer Erscheinungsvielfalt.
- Die für die komplexitätsreduzierten, einsamen, isolierten und segmentierten Einzelwerke entwickelten Instrumentarien werden um jene erweitert, die auch für höherkomplexe Systeme geeignet sind.
- Zu registrieren sind Übergange zu Komplexität, systemischen Überlegungen und Netzwerktheoretisierungen.

Autorenschaften
- selbstautorisierte, selbstbestimmte und selbstorganisierte Projekt- und/oder Prozessbeziehungen
- uneinheitlich, fluid, temporär, verteilt in verschiedenen Konstellationen
- je nach Thema unter Einbindung unterschiedlicher Techniken und Technologien
- Teilnehmer, Informationen, Mitteilungen, soziale Beziehungen, Techniken, Technologien verschmelzen miteinander
- manchmal begrenzt, manchmal unbegrenzt, manchmal lokal, manchmal global
- vielfältige Bezeichnungen, Konstellationen und Konfigurationen
- synchron uneinheitliche Erfahrungen
--> konnektive Aggregationen

Kunst-Begriff
Statt der bis dahin das Feld der Kunst begrenzende Objekte wird Zeit und Struktur als Material genutzt
Umarbeitung eines objektfixierten, ontologisch-essentialistischen oder substantialistisch verfassten Kunstbegriffs
Aspekte Operativität, Prozessualität, Dynamik, Un(ab)geschlossenheit, Inter-/Aktivität und Experimentalität --> Deontologisierung und Operationalisierung
Kunst-Begriff ist dynamisch, prozessual und ereignishaft konzipiert
Ästhetik des Performativen, der Unschärfe, Ununterscheidbarkeit und Unbestimmbarkeit



24.06.2022

Deleuze, Gilles / Guattari, Félix 1977: Rhizom, Berlin.

"Die Welt hat ihre Hauptwurzel verloren." (S. 10)

"Zu n, n-1 schreiben, Schlagworte schreiben: macht Rhizom, nicht Wurzeln, pflanzt nichts an! Sät nicht, stecht! Seid nicht eins oder viele, seid Vielheiten! Macht nie Punkte, sondern Linien! Geschwindigkeit verwandelt den Punkt in eine Linie! Seid schnell, auch im Stillstand! Glückslinie, Hüftlinie, Fluchtlinie. Lasst keinen General in euch aufkommen! Macht Karten, keine Photos oder Zeichnungen! Seid rosarote Panther, und liebt euch wie Wespe und Orchidee, Katze und Pavian." (S. 41)

"Das Viele (multiple) muss man machen: nicht dadurch, dass man fortwährend übergeordnete Dimensionen hinzufügt, sondern im Gegenteil ganz schlicht und einfach in allen Dimensionen, über die man verfügt: jedesmal n-1 (Das Eine ist nur dann ein Teil der Vielheit, wenn es von ihr abgezogen wird). Das Einzelne abziehen, wenn eine Vielheit konstituiert wird; n-1 schreiben." (S. 10)


Bildquelle: bkb 2012, Deleuze/Guattari 1977.

1. Prinzip der Konnexion:
"Jeder beliebige Punkt eines Rhizoms kann und muss mit jedem anderen verbunden werden. Ganz anders dagegen der Baum oder die Wurzel, wo ein Punkt und eine Ordnung festgesetzt werden."

2. Prinzip der Heterogenität:
"Ein Rhizom verknüpft unaufhörlich semiotische Kettenteile, Machtorganisationen, Ereignisse in Kunst, Wissenschaft und gesellschaftlichen Kämpfen."

3. Prinzip der Vielheit
"Eine Vielheit hat weder Subjekt noch Objekt; sie wird ausschliesslich durch Determinierungen, Größen und Dimensionen definiert, die nicht wachsen, ohne dass sie sich dabei gleichzeitig verändert [...]."
"Es ist nicht das Eine, das zwei wird, auch nicht das Eine, das direkt drei, vier, fünf etc. wird. Es ist weder das Viele, das vom Einen abgeleitet wird, noch jenes Viele, zu dem das Eine hinzugefügt wird (n+1). Es besteht nicht aus Einheiten, sondern aus Dimensionen. Ohne Subjekt und Objekt bildet es lineare Vielheiten mit n Dimensionen [...], und von denen das Eine immer abgezogen wird. Eine Vielheit variiert ihre Dimensionen nicht, ohne sich selbst zu verändern und zu verwandeln."

4. Prinzip des asignifikanten Bruchs
"Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle gebrochen und zerstört werden; es wuchert entlag seinen eigenen oder anderen Linien weiter."
"Jedesmal, wenn segmentäre Linien in eine Fluchtlinie explodieren, gibt es Bruch im Rhizom, aber die Fluchtlinie ist selbst Teil des Rhizoms. Diese Linien verweisen ununterbrochen aufeinander."

5. Prinzip der Kartographie
"[...] ein Rhizom ist keinem strukturalen oder generativen Modell verpflichtet. Es kennt keine genetischen Achsen oder Tiefenstrukturen."

6. Prinzip der Dekalkomonie
"[...] man kann sie auf Mauern zeichnen, als Kunstwerk begreifen, als politische Aktion oder als Meditation konstruieren. Vielleicht ist es eines der wichtigsten Merkmale des Rhizoms, viele Eingänge zu haben."
"Eine Karte hat viele Eingänge, im Gegensatz zu einer Kopie, die immer 'auf das Gleiche' hinausläuft. Eine Karte hat mit der Performanz zu tun [...]"

"Wir sind des Baumes müde. Wir dürfen nicht mehr an die Bäume glauben, an große und kleine Wurzeln, wir haben genug darunter gelitten. Die ganze Baumkultur ist auf ihnen errichtet, von der Biologie bis zur Linguistik. Nur unterirdische Sprösslinge und Luftwurzeln, Wildwuchs und das Rhizom sind schön, politisch und verlieben sich."



8.7.2022: Entanglement

Bruno Latour 2007: It’s development, stupid! or: How to Modernize Modernization >>

Latour im Interview >>

Toxic Nostalgia, From Putin to Trump to the Trucker Convoys, Naomi Klein, 1.3.2022, in: The Intercept >>



Wolfgang Kemp 1991: "Kontexte. Für eine Kunstgeschichte der Komplexität", in: Texte zur Kunst, 2. Jg./Nr. 2, S. 88-101.

"Die gängige Orientierungsgröße der Kunstgeschichte in Forschung und Praxis ist das Einzelwerk. Diese Größe darf jedoch nicht als gegeben gelten: sie ist vielmehr das historische Produkt von Institutionen und Medien wie Museum, Restaurierung, Denkmpalpflege, Fotografie sowie einer Reihe von Methoden, die oft nur am isolierten und auch segmentierten Objekte fündig werden (Positivismus, Formalismus, Strukturalismus)." S. 89
"Aus dem historisch bedingten Zustand der Vereinzelung und Isolierung des Kunstwerkes ist so etwas wie das erklärte Telos der Kunstproduktion und ihrer Geschichte geworden." S. 91f.
"Das Erbe des Idealismus und einer Kunstphilosophie, die das Kunstwerk nur aus dem Museum kennt, drückt aber durch ihre Grenzziehungen eine ganze Wertelehre aus." S. 92.
"[...] es geht schon [...] um einen Geburtsfehler, um dessen Behebung, zumindest um den permanenten Hinweis auf ihn bzw. die Formen seiner Verdrängung. Es geht auch um die Gewöhnung an ein anderes Denken. Die Kunstgeschichte hat, was die Umwelt-Werk-Relation angeht, immer nur Komplexität reduziert und Komplexität nicht als methodisches Problem begriffen." S. 94
Die Kunstgeschichte sei "an ihre komplexen Systeme mit dem falschen Instrumentarium bwz. mit einer zu engen Gegenstandsbestimmung herangegangen". S. 96

Methodenprogramm:
1. Kunst nicht ohne Kontext (d.h. schallfrei, kontextlos) denken
2. (existentielles) Aufeinanderangewiesensein von KW und Kontext / System und Umwelt (strukturelle Determiniertheit und Kopplung) voraussetzen
3. "So wie der Text im Kontext situiert ist, so befindet sich der Kontext auch immer im Text wieder. Die Setzung des Werkes ist immer auch Besetzung, Gegensetzung, Fortsetzung, Übersetzung des Kontextes."
4. Kontextualisierungen mit einem Ungenauigkeitsfaktor belasten: "...fühlt man sich aufgerufen, die Leere mit eigenen Mitteln zu füllen."
5. Offene, wilde und prozessuale Aspekte bedenken. Und nicht von einem Auftrag, Plan, Programm, von der Intention beirren lassen: "Unser Fach liebt intentionale Zustände..."
6. Projektionsleistungen ("Das Werk sieht seine Rezeption vor...") als Kollektivbesitz einer Kunstepoche (z.B. Wahl des Materials, der Technik, des Mediums, der Objektform, des Formats, der Innen-Aussen-Beziehung, der Positionierung im Raum) berücksichtigen



Baecker, Dirk 1994: Postheroisches Management, Berlin, S. 114:
"[...] Komplexität nicht, wie üblich, als Problem, sondern als Lösung" betrachten

brand eins 01/2006, Schwerpunkt Komplexität >>

Leitfaden zur Vermeidung von Komplexität
1. Machen Sie keine Geschäfte.
2. Reduzieren Sie Ihre Erledigungen auf null.
3. Gehen Sie nicht aus dem Haus.
4. Telefonieren Sie nicht.
5. Sprechen Sie mit niemandem.
6. Bleiben Sie im Bett.
7. Schließen Sie die Augen.
8. Hören Sie auf zu atmen.
Quelle: brand eins, 01/2006.



© RTMark.com



Von der Komplexität eines Systems spricht man, wenn es
(1) eine große Anzahl von Elementen aufweist, die
(2) in einer großen Zahl von Beziehungen zueinander stehen können, die
(3) verschiedenartig sind und
(4) deren Zahl und Verschiedenartigkeit zeitlichen Schwankungen unterworfen sind.
Baecker, Dirk 1994: Postheroisches Management, Berlin, S. 113f.

"Als komplex wollen wir eine zusammenhängende Menge von Elementen bezeichnen, wenn aufgrund immanenter Beschränkungen der Verknüpfungskapazität der Elemente nicht mehr jedes Element jederzeit mit jedem anderen verknüpft sein kann."
Luhmann, Niklas 1987: Soziale Systeme, Frankfurt/Main, S. 46

...eine reduzierte Komplexität muss in einer Zeit auffallen, "in der 'vernetzte Systeme' die Herausforderung von Informationstheorie und Wissenschaftssprachen sind [...]". Kemp 1991, S. 94.

Baecker 1994:
"Komplexität nicht, wie üblich, als Problem, sondern als Lösung" betrachten (S. 114)

"Wenn man möglichst kompliziert an die Sachen heranzugehen versucht, hat man schließlich immer mehr Lösungen zur Hand, als sich Probleme stellen. Das heißt, man kann wählen. Und man verfällt, wenn man Glück hat, auf kleine Lösungen, die manchmal mehr bewegen als die großen und die für andere immer ein Rätsel bleiben."

Gründe:<
- erstens ist bei komplexen ("überraschenden, unberechenbaren, intelligent feindseligen, mangelhaft kommunizierbaren") Sachverhalten ein stabiles und sogar berechenbares Verhalten prognostizierbar,
- zweitens können komplexe Systeme aufgrund ihrer Fehlerfreundlichkeit nur partiell auf Störungen reagieren und diese teilweise abfangen,
- drittens tritt Komplexität auch in Systemen zweiter Ordnung auf, in denen zusätzlich zum Handeln und Entscheiden das Beobachten des Handelns und des Entscheidens tritt, d.h. die einhergehenden blinden Flecke im Auge behalten werden. (S. 115f.)











email: b k b [at] e y e s 2 k . n e t

spam-protection: 1. without spaces 2. change [at] to @